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Wo der Lachs den Tampon hat

Wolfsgeheul-miniAlso gegen die Gauchos. Meinetwegen. Die sind etwas berechenbarer als die Holländer. Der van Gaal hat sich schlichtweg verpokert, indem er Cillyaussem, oder wie der hieß, im Tor gelassen hat. Krul, der Eroberer, wäre natürlich besser gewesen und hätte mindestens drei gehalten. Aber ich will gar nicht so viel schreiben über das andere Halbfinale. Das war ja so interessant wie das Nachschlagewerk “Die Menstruations-Geschichte der Inuit”. Ich wollte mehr über uns schreiben. Und über die WM. Und über Fußball. So allgemein.

Am Sonntag habe ich nämlich die Chance, mich wieder mit “meiner” Nationalmannschaft zu versöhnen. Es ist immer noch erstaunlich, welche Wunde das Italien-Spiel bei der EM 2012 bei mir hinterlassen hat. Im Freundes- und Bekanntenkreis wurde schon vorher über Jogi Löw und die Schönwetterspieler gemosert, wie sonst nur über Gebührenerhöhung im Puff oder Zusatzsteuer auf frische Luft. Ich habe die Mannschaft immer in Schutz genommen. Bis Balotelli kam. Danach war mein Fußballer-Herz gebrochen. Innerlich spürte ich: mit diesem Trainer, mit dieser Mannschaft, werden wir nie etwas gewinnen. Weil immer, wenn es drauf ankommt, in den engen Spielen, keiner da ist, der es zwingt. Löw hat uns zwar wieder schöneren Fußball spielen lassen, aber er hat uns die Gewinnermentalität abtrainiert. Mit flacher Hierarchie. Einem Kollektiv an Weichflöten und Ja-Sagern.Schlimmer noch, Jogi hatte mit der komischen Taktik gegen Italien seine eigene Fußballphilosophie verraten. Und damit mich. Davon war auch ich nach der EM überzeugt. In der Quali knallst du alles weg wie Gladbacher Stürmer in nem Londoner Hotelzimmer, und wenn es um was geht, wird versagt wie n 80-Jähriger ohne Viagra.

Jetzt fange ich wieder an zu glauben. Daran, dass ich mich doch geirrt haben könnte. Nicht wegen des 7:1 gegen Brasilien. Das war toll. Historisch. Unglaublich. Natürlich all das. Und unsere Mannschaft hat sich hinterher so sportlich verhalten, wie es besser nicht geht: Genieße den Sieg, schone den Verlierer. Mit der übertriebenen Häme mancher deutschen Fans konnte ich nichts anfangen. Trotzdem: Ich möchte glauben. Nicht wegen Brasilien. Aber wegen des 1:0 gegen Frankreich und wegen des Algerien-Spiels. Das waren die Spiele, die du früher nicht gewonnen hättest. Können wir tatsächlich schön und erfolgreich spielen? Sollte Jogi das doch hinbekommen haben mit einer Mannschaft, einer Generation, die das Ganze als ihre einmalige, historische und letzte Chance begreift? Und warum wäre das für mich persönlich so wichtig? Schließlich habe ich selbst ja nichts davon, wenn Lahm, Schweini und Co. den Titel holen. Die Antwort ist einfach: Weil ich dieses Spiel liebe. Und weil die Mannschaft doch irgendwie für mich spielt. Zumindest gefühlt. Weil ich als Fußballer alles dafür gegeben hätte, einmal für Deutschland auflaufen zu dürfen. Also spielt die Mannschaft doch irgendwie für mich. Vertretungsweise. Ich weiß, dass das verrückt klingt. Romantisch. Kitschig. Ich weiß, dass sich die meisten Spieler wahrscheinlich kaum dafür interessieren, wie sich die Fans fühlen. Aber trotzdem fühle ich so. Weil ich das Spie liebe. Nicht das Event.

Ich finde es schrecklich, dass zur WM jeder Tampon mit Fußball beworben wird. Obwohl der Werbespruch “Mach ihn rein” durchaus Potenzial hat. Ich hasse das Wort “Schland”, das sich jeder Möchtegern-Eventfan aus den Lippen reiert und schwarz-rot-gold auf die Wangen pinselt hat, obwohl er nicht mal weiß, wo Lukas Podolski im Verein spielt. Mir ist es scheiß egal, ob die Spielerfrauen ins Mannschaftshotel dürfen oder was für Klamotten die tragen und ob sie Soja-Latte trinken. Ich würde auf den Fanmeilen zwei getrennte Bereiche einrichten. Links muss man eine Fußballfrage beantworten, rechts kann man so rein. Dann können sich rechts alle die einreihen, die glauben, Liebeskind war am Wunder von Bern beteiligt. Und dort können sie schon zu orgiastischen Schreien ansetzen, wenn der Ball sich auf 30 Meter dem Tor nähert. Auf beiden Seiten wohlgemerkt. Ich werde es nie verstehen, wie man sich 365 Tage im Jahr nicht für Fußball interessieren kann, aber bei WM und EM anmaßend darüber fachsimpelt, ob Deutschland statt 4-3-3 wieder 4-2-3-1 mit abkippendem Sechser spielen sollte. Das sind wie Partygäste, die nur kommen, um den Lachs vom Buffet zu fressen und sich dann wieder verpissen. Fußball ist aber nicht nur Lachs. Es ist nicht immer nur 7:1. Das weiß man aber erst zu schätzen, wenn man auch ein langweiliges 0:0 gesehen hat. Im Nieselregen. Und dem taktisch noch was abgewinnen kann. Thomas Müller hat schon recht, wenn er sagt: “Ich möchte mich nach dem WM-Finale nicht entschuldigen müssen: Sorry, dass wir das Spiel nur mit einem Tor Unterschied gewonnen haben.” Wahrscheinlich werden sich aber viele der Eventfans fragen, wenn es nach 30 Minuten nicht wieder 5:0 steht, wie schlecht die Deutschen denn spielen würden.

Versteht mich nicht falsch: Ich bin kein Nerd, der das Ergebnis von Erzgebirge Aue am 7. Spieltag aus dem Kopf weiß. Soweit geht es auch nicht. Aber ich liebe Fußball. Immer. Nicht nur alle vier Jahre. Deswegen geht einem das Ganze ja auch so nahe. Ja, es ist toll, dass Millionen beim Public Viewing die Nationalhymne singen. Das ist Gänsehaut. Ja, kollektiver Jubel ist geil, weil es ein Wir-Gefühl erzeugt, das in diesem Land häufig genug zu kurz kommt. Aber es sollte echt sein. Kein Produkt sozialer Erwünschtheit. Doch zurück zum Wesentlichen:

Jahrelang hab ich gesagt, man darf nicht immer alles nur nach Titeln bewerten. Das stimmt auch. Spiele wie gegen Brasilien jetzt, gegen Argentinien oder England vor vier Jahren oder die Dinger gegen Ronaldo – alles Fußballfeste. Titel sind nicht alles, aber ohne Titel ist alles nichts. Um mich mit meiner Nationalmannschaft zu versöhnen, braucht es wohl den Goldpokal. Das ist nicht fair. Das weiß ich. Es ist ehrlich. Denn irgendwann reicht es nicht mehr, nur den Schönheitspreis mitzunehmen. Wenn du groß sein willst, musst du auch mal was gewinnen. Ich weiß: Es gibt keine Garantie. Nur den Glauben. Und ich möchte glauben, hoffen, mir wünschen, dass ich mich geirrt habe. In dieser Mannschaft und in diesem Trainer. Es wäre der schönste Irrtum meines Lebens.

In diesem Sinn: permanece flexivel!

5 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen sehr persönlichen und ehrlichen Text.
    Mir geht es in vielen Dingen ähnlich, die Nationalmannschaft und deren Auftreten, sowohl sportlich als auch „ansonsten“ bedeutet mir sehr viel.
    Um so mehr habe ich die letzten Jahre unter dem Löwschen Phänomem gelitten (wenns drauf ankommt vercoachen).
    Diesmal kommt es am Sonntag drauf an.
    Ich hoffe, der Trainerstab macht nichts verrücktes, sondern lässt die Truppe einfach spielen, dann holen „wir“ auch den Titel.
    Seit 1962 verfolge ich gespannt jede WM, und diesmal riecht es nach einem Titel für uns, das würde ich mir von keiner Party-Meile oder Schlandfans verderben lassen.
    Und übrigens: 0:2 zu Hause gegen Bielefeld.

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  2. Jawoll, ganz meine Meinung. :topp:

    Vor allem diese „Schland“- Ausrufe kann ich auch überhaupt nicht ab!

    Die Jungs packen das am Sonntag, davon bin ich überzeugt.

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  3. Der Text steigert sich dermaßen, dass er auf seine eigene Art und Weise ebenfalls ein Genuss im Stile des für immer berüchtigten 7:1 ist.

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  4. Das ist mal ein guter Text in einem anderen Stil als sonst. Gefällt mir gut.

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  5. Ich lese ja schon seit deinem ersten Beitrag auf tumblr mit.
    Das Ding hier geht aber in mein Herz und lässt mich voller fussballgefuellter Liebe sagen: Danke!

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